Anreizsysteme für die Datennutzung im Gesundheitswesen

Im Gesundheitswesen wirken Marktmechanismen nur bedingt. Umso wichtiger sind nicht-monetäre Hebel, etwa verbindliche Austauschformate, praxisnahe Unterstützungsstrukturen für Arztpraxen, transparente Rückmeldeschleifen sowie strukturell verankerte Patientenbeteiligung. Zu diesem Schluss kommt eine Fachtagung, an der auch die Swiss Data Alliance beteiligt war.

Ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) zum Schlüsselprogramm DigiSanté bestätigte im Oktober 2024 die strategische Bedeutung des Programms, sah aber das grösste Risiko in der fehlenden Durchsetzungsfähigkeit des Bundes. Standards, Schnittstellen und Prozesse blieben vielerorts optional – mit der Folge, dass zentrale Prinzipien wie einheitliche Datendefinitionen, durchgängige End-to-End-Prozesse oder das Once-Only-Prinzip bisher kaum umgesetzt werden konnten. Diese Diagnose bildete den Ausgangspunkt für eine Fachtagung am 23. Mai 2025 an der HSLU, die Digisanté in Kooperation mit der data stewards GmbH sowie der Swiss Data Alliance veranstaltete.

Im Zentrum der Tagung stand der Austausch zwischen Expert:innen aus Versorgung, Forschung, Industrie, Verwaltung und Patientenvertretungen. In einem kollaborativen Workshop-Format wurden praxisnahe Hürden und Zielkonflikte identifiziert sowie konkrete Impulse für wirksame Anreizmodelle erarbeitet.

Kein Ansporn für Effizienz

Im Gesundheitswesen wirken Marktmechanismen nur bedingt. Vergütungsmodelle in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bieten keinen Ansporn für Effizienz- oder Qualitätsverbesserungen oder Innovationsförderung. Zentrale Steuerungsimpulse wie Vergleichbarkeit, Wettbewerb oder Ergebnisorientierung fehlen weitgehend, wodurch auch datenbasierte Verbesserung im Alltag strukturell ausgebremst wird.

Eine wirksame Data Governance ist zentrale Voraussetzung dafür, dass Anreizmechanismen ihre volle Wirkung entfalten können. Erst wenn Zuständigkeiten, Prozesse und Rahmenbedingungen verlässlich geklärt und organisationsintern verankert sind, werden Daten auch systemweit fliessen und wirksam zum Einsatz kommen.

Digitale Leistungen wie strukturierte Datenerfassung, Registerpflege oder elektronische Medikationspläne bleiben häufig unsichtbar. Sie werden im aktuellen System weder systematisch anerkannt noch finanziell abgebildet – trotz ihres Nutzens für Versorgung, Forschung und Steuerung. Das mindert ihre Attraktivität und erschwert ihre nachhaltige Etablierung. 

Monetäre Anreize allein greifen jedoch zu kurz; entscheidend sind ergänzende nicht-monetäre Hebel wie zum Beispiel verbindliche Austauschformate, praxisnahe Unterstützungsstrukturen für Arztpraxen, transparente Rückmeldeschleifen sowie strukturell verankerte Patientenbeteiligung. Erst die Kombination mit solchen Voraussetzungen schafft die Grundlage für kooperatives Handeln und datenbasierte Weiterentwicklung.

Entsprechend sind viele Arztpraxen bislang kaum in datenbasierte Zusammenarbeit eingebunden, obwohl dort wichtige Versorgungsdaten entstehen. Während gezielte Vergütung digitaler Leistungen punktuelle Anreize setzen kann, braucht es besonders hier koordinierende Strukturen, um Praxen systematisch an strukturierte Datenerfassung und -nutzung heranzuführen.

Asymmetrie von Aufwand und Nutzen

Besonders in der Grundversorgung entstehen durch die Digitalisierung an einer Stelle (z.B. in Spitälern) zusätzliche Koordinations- und Dokumentationspflichten, ohne dass an anderer Stelle (z.B. für Arztpraxen) daraus ein unmittelbarer Nutzen resultiert. Diese strukturelle Asymmetrie zwischen Aufwand und Nutzen hemmt die Datennutzung.

Patient:innen folgen nicht klassischen Anreizlogiken – ihre Beteiligung lässt sich nicht durch individuelle Motivation allein erreichen. Strukturelle Ermöglichung, etwa durch institutionalisierte Vertretung, ist entscheidend. Wo dies gelingt, kann Beteiligung nicht nur Datenverfügbarkeit und -qualität verbessern, sondern auch den Druck auf Institutionen erhöhen, ihre Datennutzung verantwortungsvoll und transparent zu gestalten.

Das Fehlen von Bewertungsmodellen und Zulassungsverfahren nimmt innovativen digitalen Versorgungsmodellen die Aussicht auf Aufnahme und Vergütung in die Regelversorgung – und damit einen zentralen Anreiz für ihre Entwicklung, Erprobung und nachhaltige Etablierung. So bleiben auch wertvolle Datenquellen ungenutzt und Potenziale für strukturierte Datennutzung in der Versorgung unerschlossen.

Fazit: Es braucht neue Anreizmodelle

Die Fachtagung hat verdeutlicht: Besonders im Gesundheitswesen kommt es auf gezielte Anreizmodelle an, die sich an den tatsächlichen Bedingungen orientieren. Ihre Wirkung entfalten solche Modelle dort, wo Governance verlässlich verankert ist, digitale Leistungen sichtbar und finanziell abgebildet werden und strukturelle Asymmetrien – etwa beim Verhältnis von Aufwand und Nutzen – gezielt adressiert sind. Sowohl der Faktor «Patient:innen» als auch neue Versorgungsmodelle bleiben unter ihren Möglichkeiten, solange entsprechende Voraussetzungen fehlen. Besonderer Handlungsbedarf besteht in der Grundversorgung: Die hohe Fragmentierung der Ärzteschaft erschwert eine koordinierte Datennutzung – ohne gezielte Unterstützung bleiben viele Praxen strukturell ausgeschlossen.

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